Die Grenze, La frontière

Souvenirs

Être d’ici et d’ailleurs (ou là-bas ?), qu’est-ce que cela signifie ? Par exemple  être allemand et français en même temps? indissociable  car, ici en Grande  Région,  nous appartenons aux deux cultures. C’est ce que Martin Graff nous a toujours montré en présentant les deux pays avec toutes ses facettes, même les moins flatteuses et toujours avec tendresse et amour.

Association Vies à Vies
(„les pétroleuses franco-allemandes“, wie Martin sie einmal genannt hat…)

Und für euch alle exklusiv die bislang unveröffentlichte, ungekürzte Version des Beitrags von Martin für das Buch
Au centre de l’Europe. Im Reich der Mitte² (2013):

Die Grenze, von Martin Graff

Ich bin auf einer Grenze geboren, in Stosswihr, Münstertal, heute Frankreich, gestern Deutschland. Das Vogesendorf war während des Zweiten Weltkrieges Kampfgebiet. Eine deutsche Postkarte, im Krieg hergestellt, teilt das Dorf in zwei : Stossweier-Deutschland / Stosswihr-Frankreich. Der väterliche Bauernhof lag in Frankreich, der mütterliche in  Deutschland.

Besteht daher meine Faszination für das Wort Grenze ?

Ich freue mich natürlich, dass die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland Vergangenheit ist. Zöllner arbeiten heute als Gärtner. Zoll- und Polizeigebäude wurden als Restaurants umfunktioniert. Ich wiederhole diese Parabel oft im Balkan, wenn mir kroatische und serbische Jungendliche zuhören : « Ihr baut Restaurants in Zoll- und Polizeistationen um : Unfug ». Sie lachen verschämt und besuchen in Vukovar an der Donau (Kroatien) weiterhin nur kroatische oder serbische Cafés.

Deutsche sind schneller im Grenzabbau. Franzosen zögern. In Straßburg verschwanden die Zoll- und Polizeistationen nur durch Zufall. Die Autonomen fackelten sie während des Nato-Gipfels 2008 ab. Damals verteufelte man die Protestler. Heute freuen sich alle über die elegante Gartenanlage am Rhein zwischen Frankreich und Deutschland.

In Lauterbourg-Dorf ist die alte Grenze schwer zu erkennen. An der Autobahn allerdings steht « das hässlichste Grenzgebäude zwischen Nizza und Brüssel », bestätigt mir Anna, die die alten Grenzübergänge im Auftrag der EU fotographiert.

Zwischen Saarbrücken und dem Ozean sieht es besser aus, bei Eupen lebt sogar eine Psychoanalytikerin im ehemaligen Zollhaus.

Die Politiker von hüben und drüben freuen sich immer wieder über die neueste Entwicklung. Es entstehen Euroregionen, Metropolregionen, Eurodistrikte, die Deutschen und Franzosen das Leben erleichtern sollen.

Die Europaeuphorie der Politiker kommt leider nicht immer beim Bürger an, weil die Grenze psychologisiert wurde.

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In der Tat muss man den Begriff cooler anpacken, vielleicht ganz einfach mit der Bibel, dem ersten Buch Mose, Kapitel 1:

Verse 4 und 5: „Gott trennte das Licht von der Dunkelheit

und nannte das Licht Tag, die Dunkelheit Nacht…“

Vers 7: „Gott machte ein Gewölbe und trennte das Wasser über dem Gewölbe von dem Wasser, das die Erde bedeckte…“

Vers 14: „…Am Himmel sollen Lichter entstehen, die Tag und Nacht voneinander trennen…“

Der Kosmos entstand also durch Trennung, laut Bibel, Kapitel 2, sind auch die Menschen – Adam und Eva – gleich von Grenzen getroffen: „Du darfst nur nicht von dem Baum essen, dessen Früchte Wissen geben. Sonst muss Du sterben…“ Die weitere Geschichte ist bekannt, wir sind sterblich.

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Die Globalisierung soll aus uns Weltbürger machen. Die Fußballspieler springen im  Fußballalltag hemmungslos über die nationalen Grenzen. Aber ausgerechnet bei internationalen Treffen wie WM oder EM werden sie verpflichtet, mit der nationalen Fahne im Kopf zu spielen.

Özil, deutscher Staatsbürger, wird beim Spiel gegen die türkische Nationalmannschaft daran erinnert, dass er, obwohl in Gelsenkirchen geboren, von türkischen Eltern in die Welt gesetzt wurde. Als er ein Tor schiesst, kann er sich nicht freuen. Er schämt  sich. Das türkische Publikum pfeift ihn aus.

Ist die Grenze nicht konstitutiv unseres Daseins? In Wirklichkeit gab es in der Welt noch nie so viele neue Grenzen. Regis Debray und und Michel Melot widmen im hochkarätigen Magazin Medium 500 Seiten den „Grenzen“. „Du biblique au numérique, il est bon de rappeler que la Genèse fait de la création du monde une séquence de séparations primordiales et de démarcations entre les éléments.“ Wir haben uns nicht abgesprochen.

Regis Debray veröffentlichte  2011 ein Buch : Eloge des frontières: was sofort von Nicolas Sarkozy missbraucht wurde, um die Wähler der rechtextremistischen Partei von der Familie Le Pen an seiner Partei  UMP anzudocken. Bekanntlich misslang ihm der Versuch. Der Sozialist  François Hollande gewann die Präsidentenwahl am 6 Mai 2012. « Le mur interdit le passage, la frontière le régule », man kann kaum wiedersprechen, aber auch Debray packt die Grenze am falschen Ort an: an der Frage der Territorien und nur dort.

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Wir brauchen Umberto Eco, um weiter zu kommen, auch zwischen Frankreich und Deutschland, Saarland und Lothringen, Pfalz und Elsass,  Baden und Elsass.

In  Schüsse mit Empfangsbescheinigung schreibt der italienische Sprachakrobat : « Erasmus würde sich nicht nur intellektuell, sondern auch sexuell oder, wenn man so will, genetisch auszahlen. Ich habe viele Studierende kennengelernt, die nach einer gewissen Zeit im Ausland dort geheiratet haben. Wenn dieser Trend sich verstärkt und immer mehr zweiprachige Kinder geboren werden, können wir in dreißig Jahren eine europäische Führungsschicht haben, deren Mitglieder in der Regel mindestens zweisprachig sind. Das wäre nicht wenig. »

Genauso ist es : « La langue est la clé de la culture », sagt Frédéric Mistral, Literaturnobelpreisträger aus der Provence ( 1904). Erst wenn die Sprachgrenze überwunden wird, ist der Friede gesichert. Dann werden auch die  wirtschaftlichen Grenzen effektiv behoben. Das heißt natürlich nicht, dass nur eine Sprache (Englisch) alle andere dominieren soll.

Im Gegenteil, wir müssen lernen, gegen die « Mörderischen Identitäten » zu kämpfen, mit « verschiedenen Zugehörigkeiten zu leben », wie der Franko-Libanese Amin Maalouf schreibt. Der Donaupoet Claudio Magris formuliert es so: « Wir müssen lernen zu denken mit der Mentalität verschiedener Völker. »  Und wir verstehen mit Herta Müller : « In jeder Sprache sitzen andere Augen ! »  Nur Sprachakrobaten sind echte Grenzgänger.

Thomas Mann wechselt die Sprache im Zauberberg, im Kapitel Walpurgisnacht, als Hans Castrop sich mit Clawdia Chauchat unterhält.

Genauso spielt er mit den Sprachen in Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull.

Madame Houplet, alias Diane Philibert, aus Straßburg hat ein Verhältnis mit dem Liftjungen Armand (der Hochstapler)  in einem Pariser Hotel.

„Ab und hinweg, dass ich dich sehe, dass ich den Gott erblicke! Hilf rasch! Comment, à ce propos, quand l’heure nous appelle, n’êtes-vous pas encore prêt pour la chapelle? Déshabillez-vous vite! Je compte les instants! La parure de noce! So nenn‘ ich deine Götterglieder, die anzuschauen mich durstet, seit ich zuerst dich sah. Zu mir, zu mir…“

Auch Albert Schweitzer spielt mit den Sprachen:

In den Briefen an seine zukünftige Frau Hélène Bresslau springt Albert Schweitzer vom Französischen ins Deutsche und umgekehrt.

Strasbourg, mardi soir, 9 novembre 1909.

„ Ce sont des journées très agitées… Demain, ce sera mon tour de pratiquer à la Augenklinik. Il faut que je lise encore beaucoup ce soir pour de nouveau m’orienter. L’orgue du Sängerhaus avance. Mais il me cause encore des ennuis. Rapp hat ein falsches Mass für das Verhältnis von Pedal und Spieltisch angegeben. Ich muss den Fehler corrigieren so gut es geht. Er ist ein Strudelkopf. Quelle est la musique que je dois vous envoyer? Total vergessen! Weiß nur, dass es etwas von Schubert war.

Dimanche, c’était très beau; es war weihevoll wieder zu predigen und goldener Sonnenschein lag über der Welt und in meinem Herzen.

Je dois déjà penser à mon prochain sermon. Je vous baise la main, à vous AS.“

Erst mit dem Sprachwechsel schaffen wir den wahren Gedankenschmuggel, der die Kopfgrenzen sprengen mag.

Olivier, Studienrat aus Saarbrücken, Mutter Französin, Vater Deutscher, sagt : „Premièrement je suis de cœur français. Deuxièmement mon  âme est allemande. Troisièmement mon esprit est européen.“

„Accroche tes racines au ciel pour mieux voir la terre“, flüstert der Poet. „Erst dann blickst Du über die Grenzen, ins andere Land, ins andere Herz / Erst dann blickst Du über die Grenzen, ins eigene Land, ins eigene Herz!“