Auf zu neuen Ufern. Die Arbeit des Übersetzers

Bei der Übersetzung geht es nicht nur um Worte, sondern darum, eine ganze Kultur verständlich zu machen.
So brachte es der britische Schriftsteller Anthony Burgess einmal auf den Punkt.

Werde ich gefragt, worin für mich die Schwierigkeit beim Übersetzen allgemein besteht, verweist meine Antwort stets in irgendeiner Weise auf diese Aussage.Syntax, Morphologie, Vokabeln usw. lassen sich recht schnell erlernen. Das Inventar einer Sprache ist wie ein Werkzeug- oder Instrumentenkasten. Es ist Mittel und Vehikel, um Informationen in einer beliebigen Sprache weiterzugeben.

Fotografie: Noreen Adolf

Doch die Arbeit des Übersetzers – im Übrigen wie die eines jeden anderen Handwerkers auch – beginnt zunächst einmal mit einer Gesamtschau. Welche sprachlichen Mittel werden im Originaltext eingesetzt? Welchen Duktus weist ein Text auf? Wo unterstellt der Text ein sprachlich nicht kommuniziertes, ein kulturelles Wissen, das bei einem Leser aus einem anderen Kulturkreis nicht vorausgesetzt werden kann?

Fotografie: Noreen Adolf

Der Übersetzer muss nun versuchen, alle Assoziationen und Gefühle, die der Originaltext bei der Originaltextleserschaft mühelos und unangestrengt auf nicht-sprachlicher Ebene hervorruft, in die Zielsprache zu retten. An dieser Stelle wird aber auch deutlich, dass es nicht genügt, sich in der Kultur der Ausgangssprache gut auszukennen, sondern gleichzeitig auch in ganz erheblichem Maße in der eigenen. Der Übersetzer baut die Brücke zwischen zwei Welten. Er ist der Fährmann, der den Leser zum gegenüberliegenden Ufer bringt.
Oder anders ausgedrückt: Übersetzen ist übersetzen.

Fotografie: Eva Mendgen, An der Saar

Ein paar kurze Zeilen seien noch speziell zum Übersetzen aus dem Japanischen angemerkt, auf das die Aussage von Burgess vielleicht in besonderem Maße zutrifft. Fehlende Deklination und eingeschränkte Konjugation, auslassbare Personalpronomen, viele Funktionsverben und eher wenige Vollverben usw. führen dazu, dass das Japanische im Vergleich zu anderen Sprachen zunächst einmal als sehr unkonkret bzw. deutungsoffen erscheinen mag.
Man lasse sich jedoch nicht täuschen!

Fotografie: Noreen Adolf

Die Lücken, die das Ungeschriebene hinterlässt, werden durch den darunterliegenden kulturellen Kontext aufgefüllt.
Der Übersetzer allerdings hat keine Wahl. Er muss diese Lücken mit geeigneten Wörtern ausgestalten. Freilich ist dies nicht immer leicht, und mitunter sitze ich tagelang an meinem Schreibtisch, um die eine Lösung für eine Passage zu finden.Andererseits ist das genau das, was mir immer wieder aufs Neue so große Freude am Übersetzen bereitet…

Noreen hat unser Interview mit Fumie aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt.

P.S. der Redaktion:

Vielen Dank Fumie und Noreen, dass ihr euch auf dieses Experiment eingelassen habt, das sich im nächsten POST mit zwei weiteren Übersetzungsversuchen fortsetzt.
Eva