Streulage, Teil 1

Wie es zu diesem Post kam:

Beim Spazierengehen zwischen Saarbrücken (D) und den Spicherer Höhen (F) sind wir, Christine Dölker und ich, über Dominik Sand „gestolpert“. Er war dabei, eines der Gräber in der Nachbarschaft freizulegen, ein einfaches Steinkreuz mit Bezug zum Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Es gehört zu knapp zwei Dutzend weiteren Gräbern, denen man mehr oder weniger zufällig begegnet, am Straßenrand, auf einer Wiese, im Niemandsland auf der Grenze, „hüben“ wie „drüben“.

Unbekannter Krieger, Foto: D. Sand

Wir kamen ins Gespräch und tauschen uns bis heute aus. Der Text, der sich daraus ergab, erscheint in 3 Teilen.

Dominik macht seinen Rundgang regelmäßig, um die Gräber im Lauf der Jahreszeiten instandzuhalten und entsprechend neu zu bepflanzen. Er freut sich über Begleitung.

Alexander Dony hat seine Fotos, Überlegungen (s.u. am Ende von Teil 1) und das Zitat von George Santayana, The Life of Reason, 1905, beigesteuert:

„Those who cannot remember the past are condemned to repeat it.“

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Im Einsatz, Foto: A. Dony


Was kannst du uns zu den Gräbern sagen, warum gibt es sie, warum beschäftigen sie dich?
◊ Jedes einzelne Grab steht jeweils für ein einzelnes Opfer und für eine ganze Generation. Als ehemaliger Soldat interessiere ich mich natürlich für die Taktik und das Schlachtgeschehen. Ich will verstehen, warum gewisse Entscheidungen durch die militärische Führung getroffen wurden, auch wenn es schwer ist, sich in damalige Schlachtaufstellungen hineinzuversetzen. Der Linienkrieg war gerade erst obsolet geworden.
Anders als in Weißenburg/Wissembourg (F) und Wörth/Wœrth (F) war zwischen Saarbrücken und Spichern nie ein Aufeinandertreffen der beiden Armeen geplant. Es kam erst zur Schlacht, nachdem die Franzosen Saarbrücken aufgegeben und sich auf dem Roten Berg auf der Anhöhe gegenüber in Frankreich „eingegraben“ hatten.

Unterwegs in Richtung Roter Berg (F), Foto: Mendgen

Zwei Daten lassen sich auf den GrabdenkmäLern ausmachen, der 2. August und der 6. August ….
◊ Die preußische Militärführung dachte, die Franzosen würden Richtung Forbach (F) ausweichen und wollte entsprechend nachsetzen. Daraus entstand dann die dritte Grenzschlacht, zeitgleich mit der Schlacht von Wörth/ Wœrth im Elsass/Alsace …. Beinahe wäre dieses Unterfangen für die Preußen gescheitert. Von den ersten Kampfhandlungen im Deutsch-Französischen Krieg, die sich im Saarbrücker Stadtraum links der Saar abspielten, sind alle Gräber vom 2. August 1870 erhalten. Insgesamt gab es im Gefecht bei Saarbücken am 2. August 1870 auf beiden Seiten wenige Verluste. Verschiedene Quellen sprechen von acht gefallenen Preußen.
Laut verschiedenen Quellen sind elf Franzosen am 2. August gefallen. Sie wurden nach Frankreich verbracht und dort bestattet.

Dem „6 Aout“ sind in Frankreich Gedenkwege und Gedenkfeiern, die Namen von Straßen und Plätze gewidmet. So gesehen in Spicheren, Foto: Mendgen

… am 6. August wird die Schlacht von Spicheren geschlagen…
◊ Am 6. August begann die Schlacht am frühen Vormittag und dauerte bis in die Nacht hinein. Es war sehr heiß. Man bestattete die Gefallenen so früh wie möglich an Ort und Stelle, um Seuchen vorzubeugen. Bis in die 1880er Jahre gab es im Raum Saarbrücken weit über 200 Gräber in Streulage, die dann teilweise durch Umbettungen aufgelöst wurden.

Manche Grabsteine sind heute Teil der Natur, Foto: A. Dony

Wie sehen diese Grabdenkmäler aus und wie viele sind bekannt?
◊ Heute befinden sich noch 23 Gräber auf deutscher Seite, gusseiserne Kreuze auf Sandsteinsockel. Auf den „Originalkreuzen“ steht in Frakturschrift „Hier ruhen in Gott tapfere Krieger, gestorben den Heldentod am 2. (6.) August 1870“. Dann gibt es noch sogenannte „Ersatzkreuze“, die in Normalschrift gegossen wurden. Sie tragen den Schriftzug „Hier ruhen deutsche Soldaten, gefallen am 6. August 1870“. Das Datum des Todes kann man auf den Kreuzen erkennen.

Frisch bepflanzt, Grab im Dickicht auf dem Winterberg mit Blick nach Südwesten (Spicheren); Foto: Mendgen

Wie kommt es, dass die Namen der Soldaten nicht immer bekannt sind?
◊ Manche Sockel tragen die Namen der Gefallenen (nur bei Einzelgräbern), andere nennen nur die Anzahl der Gefallenen mit der Regimentszugehörigkeit, und viele Sockel sind unbeschriftet. Im Deutsch-Französischen Krieg wurden Erkennungsmarken – damals etwas Neues – teilweise selbst angefertigt. Viele trugen diese allerdings aus Aberglauben nicht. Zudem waren am Kreuz oft Zettel mit Namen und Anzahl der Begrabenen angebracht, die beim ersten Regen unleserlich wurden und abfielen. So kam es, dass viele gefallene Soldaten nicht identifiziert werden konnten.

Die einzige Pflanze, die noch auf den Gräbern vereinzelt zu finden sind, ist der Kirschlorbeer, Foto: A. Dony

In manchen Gräbern sind Deutsche und Franzosen gemeinsam bestattet…
Von den Gefallenen des 6. August 1870 liegen drei französische Soldaten zusammen mit preußischen Soldaten in Streulage begraben.
Einige hundert Franzosen sind auf den Friedhöfen in Saarbrücken und Umgebung bestattet. Die Mehrzahl ist an ihrer Verwundung in deutschen Lazaretten verstorben.

„Zehn tapfere Krieger“, „Neun Mann vom Füsilierregiment 39, 1 Franzose vom 2. Regiment“, Foto: D. Sand

Welche Rolle spielt Saarbrücken?
◊ Saarbrücken nahm in diesem Konflikt eine Sonderstellung ein, da es während des gesamten Krieges keine weiteren größeren kriegerischen Auseinandersetzungen auf deutschem Boden gab. Bis dahin hatte man in Saarbrücken nicht wirklich das Gefühl, zu Preußen zu gehören.

Grenze zwischen dem Preussischen Rheinland und Bayern, Foto: Mendgen

Mail von Alexander nach dem gemeinsamen Rundgang:

Es ist spannend und bitter zugleich, wenn man sich mit den Gräbern von 1870/71 befasst. Beim Spaziergang mit Dominik findet man Gräber an Stellen, an denen man sie niemals vermutet hätte. Rätsel klären sich auf („Warum sind die alle so verstreut?“). Man lernt interessante Details zur Geschichte. Man lernt, dass man Gräber am Wacholder erkennt. Zugleich ist es erschreckend zu sehen, dass es die Arbeit eines Ehrenamtlichen braucht, damit diese Gräber gepflegt werden. Es spricht eine klare Sprache: auch der deutsch-französische Krieg soll wohl keinen so großen Stellenraum einnehmen. Aber warum? Wir sollen doch aus der Geschichte lernen.

Alexander und Dominik an einem der Gräber im Niemandsland, Foto: Mendgen